Die jüdische Gemeinde Süchteln

Einige Einträge in den Büchern der Stadt gestatten einen flüchtigen Blick
auf das Leben der jüdischen Gemeinde Süchteln:

 

 „1651 findet ein Mord im jüdischen Haus Erwähnung in den Analen Süchtelns.“

“Seit dem 1. Mai 1663 wird der Jude Joel Jüdt in Süchteln genannt, Tribut beträgt
9 Reichstaler jährlich, er wurde noch 1668 Joel, aber seit 1681 Jonas genannt,
einziger Sohn 1681 geboren ( Hirtz Jonas ? ). Jonas Jüdt wurde 1688 oder 1689
aus Süchteln ausgewiesen.”

 „Am 2. März 1693 stellt Herzog Wilhelm dem Süchtelner Juden Levi Nathan einen Geleitbrief aus. Er garantiert ihm darin Freiheit der jüdischen Religionsausübung und des Handels. Nur hinsichtlich des Leih- und Pfandgeschäftes trifft er einige den Missbrauch hemmende Bestimmungen. Bei Geburts-, Heirats- oder Todesfällen in
der Familie Levi’s behält er sich eine Abgabe an die landesfürstliche Kasse vor,
sowie das halbjährige Kündigungsrecht des gegebenen Geleites.”

„Zu den militärischen Lasten gehörten ferner die Einquartierungen. Die Truppen
des Landesherrn wurden von dem Gemeindevorsteher bei den Einwohnern
Süchtelns untergebracht, aber mit Rücksichtnahme auf besondere Verhältnisse.
So bekam der Israelit Salomon 1720, wie es in der Liste heißt, wegen
Kindbetts seiner Frau keine Einquartierung.“

„Im August 1727 hatte ein Boisheimer, Schinder Jan genannt, ein Pferd ohne
die schuldige Verzollung nach hier verkauft. Kurze Zeit später unterstand sich
der Jude Herz, ein Süchtelner, ein Pferd von auswärts ohne Entrichtung des
Zolles nach hier zu bringen.“

„Die Zahl der Kaufleute blieb stets weit geringer als die der Gewerbetreibenden.
In der Süchtelner Steuerhebeliste von 1742 werden neben 198 Handwerkern nur
24 Händler aufgezählt, und zwar 4 Winkelhändler, 11 Kaufleute, 5 jüdische Händler,
1 Leinenhändler und 3 Schafhändler. Fanden in Süchteln gerichtliche Verkäufe statt, so wurden die Juden durch den Gerichtsboten persönlich herbeizitiert, um sich
bei dem Verkaufe einzufinden und ihre Angebote zu machen.“

„Kleinhändler, wie Krämer, Vieh- und Leinenhändler, waren in Süchteln natürlich
stets ansässig. Mit Vieh haben sich immer gerne die Juden beschäftigt. Die an
sich duldsame jülische Landesregierung hat die Juden wohl nie besonders belastet, jedenfalls nicht von ihnen verlangt, daß sie in eigenen Judenvierteln oder
Judengassen beisammen wohnten. Zudem war hierzu in den meisten Orten ihre
Zahl viel zu gering. In Süchteln hielten sich 1721 nur 2 Juden auf, Manas Salomon und Natan Salomon, und 1763 wird lediglich der Jude Joel genannt.“

„1775 wird der Mühlenheuweg Wegegeldpflichtig. Das Wegegeld wurde aber nur von Auswärtigen erhoben. Eingesessene, mit Ausnahme der Juden, waren abgabefrei.“

“1781, den 7. Februar - In einer Urkunde des Ancien Régime wird der Jude Isaac David aus Süchteln als Zeuge genannt. Isaac David(s), vergleidet ( mit Geleitbrief )
in Süchteln seit 1748, dort 1787 gestorben, Großvater der Gebr. Baum ( 1810 ).”

 „Gegen Ende der jülischen Herrschaft 1793 wohnten in Süchteln 6 Juden, Manas Salomon, Kapell Levi, Jakob Levi, Levi Davids, Moses Isaak und Kapell Hirsch.
Von Ihnen ist damals Manas Salomon gestorben, aber die fällige Gebühr von einem
Goldgulden war, wie der Rentmeister in seiner Rechnung vermerkte, unbeibringlich.“

„1806 sind in der französisch besetzten Mairie Süchteln 23 Juden registriert.“

„1808 wurden die Juden durch das Dekret des Kaisers Napoleon vom 20. Juli verpflichtet, sich bürgerliche Namen zuzulegen. Es zählte damals die Süchtelner Gemeinde sechsundzwanzig Köpfe. Rabbiner war Cappel Herz, er legte sich den Namen Jakob Herzog zu, ebenso seinem Sohne David. Die übrigen waren ( mit den neuen Namen ): Sara Levi, Witwe von Jakob David ( Sara Kaufmann ), ihr Sohn Seligmann ( Seligmann Kaufmann ); Eva Salomon, Witwe von Levi David ( Eva Spinnerin ); Gottschalk Brumet behielt seinen Namen; Gertrud Wolf, Witwe von Moses Isaac, nannte sich Gertrud Baum, von ihren Kindern David, Salomon, Wolf und Anna änderte nur Wolf seinen Vornamen in Abraham. Jakob Levi ( Jakob Cappel Levi 1769/70 – 7.6.1814 ) nannte sich Liefkes, von seinen Kindern Sibilla, Gertrud, Cappel, Julie und Herz nahmen Cappel und Herz die Vornamen Abraham und Alexander an. Prinz Levi nannte sich Sara Liefkes, denselben Familiennamen legten sich Elise Nathan ( Elisabeth Nathan 1755 – 17.3.1836, Ehefrau des Jakob Cappel Levi ), Nathan Levi ( 8.12.1777 – 28.3.1865 ) und seine Frau Therese Levi ( Rosa Teresa Cahn, 06.07.1782 – 13.3.1854 ) zu. Meyer David nannte sich Meyer David Binger, seine Frau Sophia war eine Moses, jetzt Baum. Von seinen Kindern David und Sara vertauschte Sara ihren Vornamen mit Cäcilie. Veronika David nahm ebenfalls
den Nachnamen Binger an.“

“1810, den 2. Oktober - Getrud(e) Wolf ( Gitlah Walf ), gewerbslos, wohnhaft in Süchteln, Witwe von Mo(y)ses Isaac ( Sohn des 1787 verstorbenen Isaac David ), überträgt Haus und Hof in Süchteln neben Peter Müller einerseits und andererseits sowie einen Garten, ca. 4 Ar, neben den Gärten von Peter Dyckmanns und der katholischen Schule Süchteln, für 300 Rtlr. oder 900 Frcs., Wert empfangen, mit Rückkaufsrecht binnen 5 Jahren, während denen sie das Ganze bei 4% Zinsen jährlich als Mieterin nutzen darf, an Johann Edel, Tierheilkundiger in Süchteln. Die Vor- genannte, außerstande sich künftig selbst zu ernähren, im Vorhaben, sich derjenigen Mittel zu versichern, von denen sie bei ihrem vorgerückten Alter noch leben kann, überträgt ihren beiden Söhnen David Mo(y)ses Baum und Salomon Mo(y)ses Baum, Handelsleuten in Süchteln, das vorgenannte Rückkaufsrecht mit der Befugnis, im Zahlungsfall selbst das Eigentum zu erwerben, sowie ihr gesamtes Hab und Gut, auch dasjenige in der Synagoge von Süchteln. Ihre Söhne verpflichten sich, ihr Lebens- unterhalt zu gewähren, wofür die Mutter, soweit ihre Kräfte reichen, gegen ein monatliches Taschengeld von 2 Frcs. für ihre Söhne arbeiten wird. Sollte der Vertrag infolge Disharmonie aufgelöst werden, sollen ihre Söhne ihr eine Monatsrente von 90 Frcs. zahlen. Unabhängig davon werden die Söhne an die Armen der Gemeinde Süchteln und an die katholische Pfarrgemeinde Süchteln jeweils 150 Frcs. abführen, die die Mutter noch schuldet. Nach dem Tode der Mutter sollen sie ihrer
Schwester Johanna Mo(y)ses Baum 75 Frcs. ausbezahlen.”

“1811, den 12. April – Meyer David Binger ( Sohn: David Binger 1805 – 1886, Kaufmann in Krefeld ), Fleischer in Süchteln, Ehemann von Sophie Mo(y)ses Baum, schuldet dem Ackerer Mathias Pescher genannt Wiemes in Süchteln, Honschaft Hagenbroich, 400 Rtlr. oder 1.200 Frcs., von heute an auf 6 Jahre. Binger verpflichtet sich zur Rückzahlung in guten Stücken, nicht in Papier und nicht in Wechseln, erstmals in 6 Monaten, bei 5% Zinsen, zahlbar im Haus von Pescher-Wiemes, und bestellt Sicherungshypothek an seinem Haus in Süchteln am Neuen Sträßchen nebst Hof, Scheune, Stall und hinterer Küche, neben Esser Theodor und Stammen.”

„1873 gab es 10 gewerbetreibende Juden in Süchteln, darunter waren 9 Metzger
und ein Handelsmann.“

“1889 wird die Zahl der jüdischen Familien für Süchteln mit 11 festgehalten.”

“1895 ist in einer Verfügung des Regierungspräsidenten die Rede von den israelitischen Schulverbänden Süchteln, St. Tönis und Vorst, sowie Kaldenkirchen, Lobberich, Bracht und Breyell; auch 1896 wurden diese beiden israelitischen Schulverbände noch erwähnt.”

„1905 gab es insgesamt 9.371 Einwohner in Süchteln, davon waren 663 Evangelische und 51 Juden ( laut Meyers Großem Konversations Lexikon von 1909 )“

„1910 betrug die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder noch 43, sie sank
aber weiter bis 1925 auf 31 und bis 1933 sogar auf nur 22 jüdische Gläubige“

 

Ihre Synagoge hatte die Süchtelner Gemeinde seit 1812 auf der Hindenburgstrasse, neben der evangelischen Kirche. Die Gebetsräume wurden in der Progromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 völlig zerstört und nicht wieder aufgebaut. Heute erinnert nur noch eine schlichte Gedenktafel an das ehemalige Gotteshaus.

Am 25.07.1942 deportierte man die letzten 6 Mitglieder der jüdischen Gemeinde Süchteln nach Theresienstadt. Sie wurden alle in den national-sozialistischen Konzentrationslagern ermordet. Ihre Namen sind:

Isidor Baum, *08.06.1864 in Süchteln, Adresse: Lindenplatz 8, Süchteln

Netta Baum, *19.10.1870 in Süchteln, Adresse: Lindenplatz 8, Süchteln

Berta Eckstein ( geb. Elias ), *21.11.1869 in Mülheim, Adresse: Lindenplatz 8, Süchteln

Marta Eckstein, *15.07.1903, Adresse seit 1938: Lindenplatz 8, Süchteln ( vorher in St. Tönis )

Jakob Lifges *18.02.1869 in Süchteln, Kaufmann, Adresse: Hochstraße 39, Süchteln

Sofia Lifges *20.04.1870 in Münster, Ehefrau des J. Lifges, Adresse: Hochstraße 39, Süchteln

1942 wurden im Konzentrationslager Auschwitz zwei weitere gebürtige Süchtelner getötet, die ebenfalls namentlich bekannt sind:

Kurt Baum, *16.12.1903 in Süchteln, letzter Wohnort: Weert,
+ 27.10.1942 ( oder 12.08.1942 )

Senta Baum-Lifges, *18.05.1916 in Süchteln, letzter Wohnort: Roermond, + 29.09.1942 ( oder 31.08.1942 )

“Denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben; ...einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll.”
( Jesaja, Kapitel 56, Vers 5 - Yad Vashem )

Die genaue Lage des alten jüdischen Friedhofes aus dem 17. Jahrhundert ist nicht bekannt. Die jüdische Gemeinde Süchtelns beantragte 1749, vermutlich aus Platzmangel, die Zuweisung eines neuen Begräbnisplatzes, welcher ihr auf dem Heidweg zugestanden wurde. 1769 verurteilt das Hofgericht die Schändung des neuen jüdischen Friedhofes und setzt eine Belohnung für die Ergreifung der Täter aus. Der Friedhof auf dem Heidweg wurde bis 1931 benutzt. In den 50er Jahren wurden die noch vorhandenen Grabstätten eingeebnet und das Gelände als Grünanlage eingerichtet. Heute stehen 5 Grabsteine und 2 Fragmente verstreut auf dem Friedhofsgelände.

 Grabsteine von Hanchen ( geb. Rothschild ) und Nathan Lifges

Grabstätte der Eheleute Baum -
Sara ( geb. Marx ) geb. 28. Mai 1831 - gest. 31. Dezember 1896
und Isaak geb. 18. März 1831 - gest. 11. Februar 1913

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