Das Andreasessen in Süchteln

Im Pachtvertrage des Kunigundes aus dem Jahre 1315 steht für den Süchtelner Schultheißen der Abtei verpflichtend festgeschrieben, daß er am Zinstage, dem St. Andreastag ( 30. November ), für die Schöffen der Gemeinde und den Abt von St. Pantaleon ( mit großem Gefolge ), das Andreasessen auf dem Herrenhofe zu bereiten habe. Die Gäste waren gastfreundschaftlich aufzunehmen und sie waren viermal an drei Tagen zu beköstigen. Der Huldigungsbrief von 1628 nennt als den Zweck des Essens, die Überlieferung der grundherrlichen Rechte weiter fortzupflanzen: „die älteren Schöffen sollen die jüngeren des Abtes Recht und Gerechtigkeit, Freiheit und Herrlichkeit ansagen und lehren, wie sie das von ihren Vorsassen gewiß gelernt haben“. Später kam der Abt nicht mehr persönlich, sondern es waren seine Abgesandten sowie die Pfarrer und Kapläne von Süchteln, die hiesigen 7 Schöffen, der Gerichtsbote, der Küster, der Brauer, der Müller, zwei Holzgrafen, der Buschhüter, der Schmied, der Kuhhirt und zwei Spielleute auf dem jährlich wiederkehrenden Festmahle zugegen ( im Jahre 1695 sind insgesamt etwa 50 Personen anwesend –
die Verheirateten brachten ihre Frauen mit ). Das Andreasessen darf man getrost
als den Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens Alt-Süchtelns bezeichnen.

Auf dem Andreasessen ging es hoch her. Der Schultheiß Duickers empfing nach dem Pachtvertrage aus dem Jahr 1521 zu dem Andreasessen eine Beisteuer von drei Ohm
( etwa 412 Liter ) Weißwein, den er in Köln auf Kosten des Abtes und in dessen Fässern holen konnte. Ein Küchenzettel von 1693 schreibt nachstehende umfangreiche Speisefolge vor: „Auf den Schöffentisch – fünf Schüssel mit Hartfleisch ( Schweine- fleisch ), acht Schüssel mit Kohl und Bratwurst, acht Schüssel grünes Ochsen- und Rindfleisch mit Kappus, sechs Schüssel Hühnerragout mit Pflaumen und Rosinen, sieben Schüssel Hammelfleisch und acht Schüssel Reisbrei, wozu neun Quart ( etwa
10 Liter ) Milch und zwei Pfund Reis verwandt werden mußten, fünf Schüssel Gebrat, sechs Schüssel Nüsse, sechs Schüssel Wingeln ( Brezeln ), dabei Butter, Käse, Äpfel und Birnen. Auf den Knechtetisch – ein Hase, zwei Gänse, ein Hammelbraten, vier Schüssel Hühnerragout und zwei Faß Mehl zu Micken gebacken ( Brot, das in der Herdasche gebacken wird ). Das war der Schmaus, den die Schöffen für ihr Gerichts- und Gemeindeamt sich geben ließen“. 1695 wird vermerkt, daß der Schultheiß neben den üblichen Fleischgerichten noch einen Schinken, drei Hammen ( Eisbeine ), einen Hasen und zwei Gänse hat auftragen lassen.

War ursprünglich die Absicht, durch das Gastmahl die Zusammengehörigkeit der „Familie“ der Grundherrschaft zu verkörpern, gewiß nicht unedel gewesen, so mußte es doch bei einer solchen Völlerei bald gänzlich ausarten. Bereits im Jahre 1569 wurden die Ausschweifungen Gegenstand abteilicher Klage. Der Zweck des Essens sei die Belehrung, heißt es in der Klageschrift, aber eine Unterweisung erfolge überhaupt nicht. Deshalb sei es wünschenswert, daß „die Unfletigkeit und lesterliche Unzucht desselben drey Tagens-Essens, so Gott und den Menschen ungefällig, abgeschafft werde, dan ehe die unleuchbare Wahrheit, das bei den Scheffen, derselben Knechten, die drey Tag solche unzeitige Volheit mit Kotzen, Speyen, Zank und Hader erfolgt.
Die Scheffenknechten, denen man besonders thut anrichten und ungezweifelt darumb, das sie ihre Herrschaften heimfuhren sollten, keiner seiner Herrschaft nachfolget, sondern darnach zu Mitternacht zu und weiter auf die Kannen schlagen, Kannen und Pott an die Wand werfen, beestlich sich voll saufen und mehr Mutwillen treiben mit unaufhörlich schwelgen, balgen, boldern, fluchen, schelden, schurzen, giessen, unnutzlich verschwenden, dan ir Herrschaften aller maßen, als gepur inen solcher Übermuth und gehor zu dem Essen solche Unzucht, wie auch in Winkeln und in Stellen villmalen unzuchtig Wesen befunden worden, das auch nimmer das Essen abgehet. Man kotzt in allen Winkeln, ja auf und under die Tisch, das ist kundig und offenbar.“

Der Abt bittet deshalb, fernerhin das Andreasessen nicht mehr abzuhalten und erklärt sich bereit, dafür eine Armenspende einzurichten. Aber die guten Süchtelner Schöffen scheinen hierfür kein rechtes Verständnis gehabt zu haben. In Zukunft auf eine solche fürstliche Tafelrunde verzichten zu müssen, ging ihnen nicht ein. Die landesherrliche Regierung erkannte die Beschwerde zwar auch als berechtigt an, stimmte aber dem Vorschlag auf Abschaffung des Andreasessens nicht zu, sondern begnügte sich mit der Forderung nach einer besseren Ordnung, indem kein Unbefugter am Mittag und am Abend zum Essen zugelassen werde, spätestens um neun Uhr alles beendet sei, jeder alsdann „züchtig und ehrbarlich“ nach Hause wandele, andernfalls er eine Bestrafung zu gewärtigen habe.

Ein Vergleich von 1756 hielt die Süchtelner von neuem dazu an, sich angemessen zu verhalten und außerdem sollte nunmehr das Andreasessen nur noch in jedem zweiten Jahre stattfinden und nicht länger als zwei Tage dauern. Das Gelage mußte etliche Jahre später in der Franzosenzeit bei neuen Rechtsgewohnheiten unterbleiben und
ist heute fast gänzlich in Vergessenheit geraten.

Der Schultheißenhof in Süchteln ( Propsteistraße )

Der Schultheiß klopfte dreimal mit dem Stock

Eine Beschreibung vom Ablauf eines Andreas-Essens in Süchteln ist in dem Weistum von 1563 im „Libro curmedarum“ erhalten. Die Urkunde besagt, daß das Essen jährlich am 6. Tage nach Andreas ( 30. November ) gehalten wird. Die erste Einladung dazu erfolgt in der Kirche auf Allerheiligen, unmittelbar nach der Predigt. Die Einladung muß an den drei folgenden Sonntagen wiederholt werden. Zum Essen gehören insgesamt 21 Personen: die sieben Schöffen, der Pastor, der Küster, der Statthalter des Abtes, der Gruterer, der Müller, die beiden Förster, drei Bewohner gewisser Höfe, die den jährlichen Holzhau zu besorgen haben ( Kötter ), der Hufschmied des Schultheißenhofes, der Kuhhirte und zwei Spielleute.

 Zur Begründung heißt es: Die Schöffen werden geladen, damit sie sich jährlich, die Älteren die Jüngeren, belehren können, welche Privilegien und Gewalt nach den ihnen von den Eltern gemachten Ãœberlieferungen der Abt und das Kloster Pantaleon zu Süchteln besitzen; der Pastor, damit er vor Tisch das „Benedicite“ und nach Tisch das „Gratias“ bete und das Willkomm der Schöffen und Wohl des Abtes ausbringe; der Küster, damit er die Schöffen bediene und den Ãœberfluß den Armen reiche; der Grutner ( Gruterer ), weil er die „Grüt oder Hoep“, d.h. den Hopfen zu dem Andreas-Bier kostenlos gebe; der Müller, weil er das Malz zum Bier, den Roggen und Weizen zu dem Brote umsonst mahlen muß; die zwei Förster ( Holzgraf und Buschhüter ), weil sie das zum Schlage bestimmte Holz umsonst zeichnen; die drei Kötter, weil sie dieses Holz kostenlos schlagen und aufladen; der Schmied, weil er, so oft er gerufen wird, die Pferde des Abtes oder des Schultheißen beschlagen, dem Schultheiß eine neue Zange oder einen neuen „Roster“ kostenlos liefern muß; der Kuhirte, weil er die Kühe des Abtes oder Schultheißen das ganze Jahr hindurch kostenlos hütet; die beiden Spielleute, weil sie beim Einholen der Schöffen zum Essen voranschreiten und spielen müssen und auch zwischen den einzelnen Gerichten ihre Instrumente erklingen lassen sollen. Außerdem obliegt es den drei Köttern, in der Küche dem Koch zu helfen und in der Kammer, in der das Essen stattfindet, das Feuer zu stochen und Holz herbeizutragen sowie beim Auftragen der Speisen behilflich zu sein. Außerdem muß einer der drei Kötter die Gerätschaften herbeitragen und spülen. Die drei Kötter essen nicht mit an der Festtafel, sondern mit dem Koch in der Küche. Der Buschhüter hat die Verpflichtung, das Tafelbrot zu schneiden, einzuschenken, die Tische abzuräumen und die Töpfe zu spülen. Der Kuhhirte schließlich muß drei Besen mitbringen und während der Festtage das Haus des Schultheißen sauber halten.

Das Essen dauert von Sonntags morgens bis Dienstags abends. An jedem Tag werden an drei Tischen zwei Mahlzeiten aufgetragen, mittags und abends eine. Der besondere Verlauf ist folgender: Sonntags morgens holt der Schultheiß in Begleitung der beiden Spielleute die Schöffen vom Kirchhof ab. Dort muß er ihnen 1 Quart Wein, 1 Quart Bier, 2 Micken Weck und 2 Micken Brot auf einem Teller mit Salz darbieten und gleichzeitig fragen, ob es genüge. Dann geht es im Zuge zum Schultheißen-Hof. In der Speisekammer klopft der Schultheiß mit seinem Stock dreimal auf die Tür und wiederholt dieses Zeichen, so oft eine zum Essen geladene Person das Zimmer betritt. Sind alle zusammen, gießt er jedem Schöffen Wasser über die Hände und reicht ihnen das Handtuch. Dann spricht der Pastor das „Benedicite“, und fordert die Schöffen einzeln auf, sich zu setzen, während der Schultheiß ihnen einzeln ein neues Messer mit einer neuen Schneide und einen neuen Riemen überreicht. Die Spielleute musizieren dazu, der Koch läßt das Essen auftragen.

 Es sind drei verschiedene Tische hergerichtet. Der erste Tisch ist für die Schöffen, denen der Schultheiß oder sein Knecht auftragen muß. Die Reihenfolge der Gerichte ist mittags folgende: 1. für je zwei Schöffen ein Viertel einer geratenen Gans und jedem ein Schüsselchen mit Apfelmus; 2. für je zwei Schöffen eine „Spies-Pletzer“ und eine Grützwurst und jedem ein Schüsselchen Mostert ( Senf ); 3. für je zwei eine Schüssel Rindfleisch und jedem ein Schüsselchen Mostert; 4. für je zwei eine Schüssel mit Pfeffer und darin ein „Beyren Sweylt“; 5. grüner Arnheimer Käse. Diesen muß der Koch, ein reines Halstuch um den Hals, jedem einzelnen Schöffen bringen und ihm davon ein Stück auf das Brot schneiden. An dem zweiten Tisch sitzen der Gruterer, Müller, Holzgraf, Buschhüter, Kuhhirte und die zwei Spielleute. Ihnen werden die Speisen nur in einer einzigen Schüssel angerichtet. Sie haben auch einen Gang weniger wie die Schöffen und zwar: 1. ein Stück geräuchertes und geschmortes Fleisch mit einer Schüssel durchgeschlagener Erbsen; 2. frisches Fleisch; 3. gebratenes Fleisch mit Pfeffer; 4. Butter und Käse. Ihr erster Gang muß mit dem ersten Gange der Schöffen, der zweite erst mit dem dritten, der dritte mit dem vierten und der vierte mit dem fünften Gang gleichmäßig aufgetragen werden. Dieser Tisch erhält auch erst beim zweiten Gang Wein und muß sich bis dahin mit Bier begnügen. Der dritte Tisch führt den Namen „Gasttafel“. Daran sitzen die Gäste, nämlich der Pastor, der Schultheiß und seine Gäste, die Gäste der Schöffen, von denen jeder zwei mitbringen darf. Für diese Tafel ist kein Speisezettel vorgeschrieben. Er hängt von der Willkür des Schultheißen ab.

 Nach dem letzten Gang betet der Pastor das „Gratias“, woran sich wiederum verschiedene Rechte und Pflichten knüpfen. Zunächst muß jedem Schöffen der Krug mit Wein und der Krug mit Bier gefüllt werden, die Spielleute müssen noch einmal aufspielen und die Frauen der Schöffen dürfen eintreten. Der Küster muß sämtliche Speisen und Getränke, die übrig geblieben sind, an die Armen verteilen, welche am Tor des Hauses warten und den Hausarmen von Süchteln ins Haus schicken. Haben die Spielleute ihr letztes Stück beendet, klopft der Schultheiß mit seinem Stock dreimal auf den Tisch. Das bedeutet für die Personen des zweiten Tisches, nach Hause zu gehen und für die Schöffen, sich im Gerichtshaus zu versammeln, um dort des Abtes Erbgerechtigkeit zu erklären und die jüngeren Schöffen zu lehren. An Speisen muß hier verabreicht werden: geräuchertes und geschmortes Fleisch, ein Stück Kalbs- braten, 2 Micken Weck, 2 Micken Brot, 2 Quart Wein und soviel Bier wie gewünscht wird. Abends 6 Uhr muß der Schultheiß mit einer Laterne und den beiden Spielleuten im Gerichtshaus erscheinen und die Schöffen zum Abendessen im Schultheißen-Hof abholen. Die Spielleute müssen bis zur Speisekammer vor ihnen herspielen.

 Im Speisezimmer sind seit 5 Uhr die Knechte der Schöffen anwesend, die bis dahin mit frischem Speck, einer fetten Wecksuppe und Bier nach Genüge beköstigt sind. Sobald alle im Zimmer sind, klopft der Schultheiß wieder mit seinem Stock als Zeichen, daß auch die übrigen Gäste hinzukommen können und daß aufgetragen werden soll. Die drei Tische sind wie mittags besetzt, nur ist der zweite durch die Schöffenknechte vermehrt. Sobald wieder das Wasser und das Handtuch gereicht und das „Benedicite“ gesprochen ist, folgen die Gerichte und zwar für die Schöffentafel: 1. für je zwei ein gebratener Capaun oder ein Huhn und jedem ein Schüsselchen Apfelmus und ein zweites mit Essig; 2. zu zweien eine Schüssel mit frischem Schweinefleisch mit Mostert; 3. zu zweien eine Schüssel Gänsegekröss mit gelber Butter-Brühe und darauf Ingwer gestreut; 4. je zwei eine Schüssel mit Pfeffer und „Beyren Sweylt“ darin, mit Kaneel bestreut; 5. der Arnheimer Käse, wie mittags durch den Koch. Für den zweiten Tisch: 1. eine Schüssel mit gesalzenem Fleisch und durchgeschlagenen Erbsen; 2. Schweinefleisch oder Speck, womit gleichzeitig der Wein gereicht wird; 3. Braten und eine Schüssel Pfeffer; 4. Butter und Käse. Der dritte Tisch wird wieder nach Gefallen des Schultheißen bestellt. Sobald das „Gratias“ gebetet und nochmals aufgespielt ist, klopft der Schultheiß dreimal mit dem Stock und spricht: „Jeder, außer den Schöffen und ihren Knechten, hat Urlaub“, d.h., mit Ausnahme der Schöffen und ihrer Knechte sollen die übrigen Personen des zweiten Tisches nach Hause gehen. Statt ihrer finden sich die jungen Knechte und Mägde ein, denen der Schultheiß zum Tanz aufspielen läßt und nach seinem Gutdünken auch einen Krug Bier gibt.

 So geht es drei Tage hintereinander mit dem Unterschiede, daß es Montags und Dienstags auch ein Frühstück gibt. Zu dem Ende des Andreas-Essens versammeln sich die Schöffen nach der Messe im Gerichtshaus, wo ihnen durch den Boten und Buschhüter die Suppe, Bier soviel sie mögen, zwei Quart Wein und jedem ein paar Micken Weck und Brot aufgetragen werden. Dienstags abends wird für die Schöffen, nachdem der Tanz beendet und alle Gäste fort sind, noch einmal der Tisch gedeckt mit Brot und drei Schüsseln und zwar: 1. eine Schüssel mit kaltem Braten; 2. eine Schüssel mit den Köpfen der während der drei Tage geschlachteten Gänse. Diese müssen gebraten und mit Butter begossen sein; 3. eine Schüssel mit gebratenen und in Scheiben geschnittenen Rüben mit Safran und Ingwer bestreut. Dazu gibt es Wein und Bier zur Genüge. Der Schultheiß klopft dreimal mit dem Stock auf den Tisch, wiederholt dieses nach einer Weile zum ersten und zweiten Mal und fragt jedes Mal die Schöffen, ob dem Andreas-Essen Genüge geschehen sei. Sind alle Schöffen noch zusammen, erkennen sie sogleich darüber. Sonst muß die Entscheidung bis zum nächsten Sonntag ausgesetzt werden. An diesem Tage muß der Schultheiß auf seinem Hof den Schöffen, deren Frauen, dem Förster, Buschhüter und allen Kirchendienern nochmals die Kost geben. Was sie aber dabei an Bier und Wein verzehren, muß jeder selbst bezahlen.

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